Inspired — Mit Elias Ben Chaabane

Von Axel Lindgren

Nach Monaten mit vielen Foto-Jobs in Tokyo für japanische Designer:innen merkte Elias, dass ihm die Stadt zu viel wird. “Die Stadt inspiriert mich, aber ich kann es hier nicht verarbeiten”, sagt er. “Es ist zu laut. Ich muss in der Nähe von Wasser, Sand oder Steinen sein. Ich will Barfuß laufen.”

Ich treffe Elias per Video-Call in Tokyo, wo er die letzten fünf Monate gelebt und gearbeitet hat. In unseren bisherigen Gesprächen ging es oft um die Natur als Quelle der Kreativität. Ich frage ihn deshalb, inwiefern sein Sinn für Natur sich in einer Mega-Stadt wie Tokyo verändert hat.

“Ich habe festgestellt, wie sehr ich die Natur brauche. Ich liebe nichts mehr, als am Strand zu sitzen und nichts zu tun. Ich wurde schon immer von der Natur inspiriert, von Formen, Farben und Strukturen. Aber mir war wirklich nicht bewusst, wie sehr ich die Natur zum Leben brauche.”

Photo: Elias Ben Chaabane

Als Künstler und Fotograf bewegt sich Elias zwischen verschiedenen Welten. In einer Woche shootet er eine Fashion-Kampagne, in der nächsten fotografiert er “Katzen, Mülleimer oder Random Shit” für ein persönliches Projekt. Sein künstlerischer Prozess basiert dabei immer auf seinem Instinkt. “Ich denke nie viel nach”, sagt er. “Ich mache einfach. Wenn ich zu lange nachdenke, blockiere ich. Deshalb erzähle ich auch immer allen: Macht einfach. Das ist der einzige Weg nach vorne.”

Von gemachten Teppichen bis zu Radiojournalismus - bei Elias bisherigen Jobs kann man wirklich nicht von Stillstand sprechen – dennoch hinterfragt auch er seinen eigenen Weg. „Hier in Japan ist mir besonders die Mentalität aufgefallen, Dinge zu meistern“, sagt er. „Ob es dabei um bildende Kunst oder das Zubereiten von Nudeln geht – es gibt einen gewissen Stolz, an seinem Werk zu feilen und ein Handwerk zu perfektionieren. Das finde ich sehr inspirierend, auch wenn ich selbst nicht so arbeiten könnte. Ich finde es viel zu spannend, ständig neue Dinge anzufangen!“

Vieles von dem, was Elias in letzter Zeit beschäftigt, ist von den Landschaften Japans geprägt. Er erzählt von Wäldern in Kyoto, die in ihrer Leuchtkraft fast unecht wirken. „Ich habe noch nie so viele Grüntöne an einem Ort gesehen“, sagt er. Und vom warmen Wind des Meeres auf Tokashiki, einer kleinen Insel in der Nähe von Okinawa, der so riecht wie die Sommer seiner Kindheit in Tunesien. „Es ist fast unheimlich, wie ein Geruch einen an einen anderen Ort versetzen kann – als würde er etwas im Kopf freischalten, das die ganze Zeit da war, aber irgendwie verborgen.“

Photo: Elias Ben Chaabane

Wenn ich zum Beispiel am Meer sitze und hinausschaue, habe ich oft ein Gefühl von Surrealität. Es ist nicht einfach nur hübsch – es fühlt sich fast unwirklich an, dass ich da bin. Es ist überwältigend, aber auf eine gute Art.

Ich frage Elias nach der Schönheit der Natur und warum wir uns so zu ihr hingezogen fühlen, doch er stimmt der These nicht zu. „So sehe ich das eigentlich nicht. Es gibt Dinge, bei denen wir uns kollektiv darauf geeinigt haben, dass sie schön sind – ein Aussichtspunkt oder ein Sonnenuntergang zum Beispiel – aber ich habe das Gefühl, das ist eher eine Konvention. Wenn ich zum Beispiel am Meer sitze und hinausschaue, habe ich oft ein Gefühl von Surrealität. Es ist nicht einfach nur hübsch – es fühlt sich fast unwirklich an, dass ich da bin. Es ist überwältigend, aber auf eine gute Art.“

Photo: Elias Ben Chaabane

Elias’ Herangehensweise steckt voller Widersprüche. Die Bewunderung für Perfektion, obwohl er ständig neue Dinge ausprobiert. Die Bedeutung der Natur zu betonen, während er in einer der am dichtesten besiedelten Städte der Welt lebt. Vielleicht sind es genau diese Gegensätze, die ihm Energie geben. In einer Zeit der Optimierung und immer kürzer werdender Aufmerksamkeitsspannen wirkt es fast erfrischend, mehr als einen Gedanken gleichzeitig gelten zu lassen.